Tempo 30

Tempo 30: Hintergründe und Fakten

Die Forderung nach 30 km/h als Regelgeschwindigkeit in geschlossenen Ortschaften ist kein neues Thema. Bereits in den 1980er Jahren gab es erste Kampagnen zur Erhöhung der Verkehrssicherheit, die eine Annäherung der Geschwindigkeiten der unterschiedlichen Verkehrsteilnehmer in einer Stadt forderten. 2012 gründete sich eine Europäische Bürgerinitiative für Tempo 30, die - vom VSF und mehr als 60 weiteren Organisationen, Umwelt- und Verkehrsverbänden europaweit unterstützt - die Forderung nach einer reduzierten Regelgeschwindigkeit in den Städten an das Europaparlament als Volksbegehren herantrug. Zwar kam die erforderliche Stimmenzahl nicht zusammen, doch erstand aus der Initiative das "Netzwerk Tempo 30", das sich deutschlandweit weiterhin für dieses Thema engagiert. Warum?

Fatale Fakten

2014 ereigneten sich mehr als 2,4 Millionen Verkehrsunfälle auf Deutschlands Straßen, bei denen 392.912 Menschen zu Schaden kamen. 3.377 Menschen starben in Folge der Unfälle. Das sind im Schnitt fast zehn Menschenleben täglich, die dem Straßenverkehr zum Opfer fallen. Zwei Drittel aller Unfälle mit Personenschaden ereignen sich innerorts, und zu den Top 3 der Unfallursachen gehört seit Jahren die „nicht angepasste Geschwindigkeit“.

Das Leben ist nicht verhandelbar

Der Deutsche Verkehrssicherheitsrat (DVR) veröffentlichte im Jahr 2012 in seiner Schriftenreihe Verkehrssicherheit die „Vision Zero. Keiner kommt um. Alle kommen an“. Darin entwirft der Präsident des DVR, Dr. Walter Eichendorf, ein interessantes Gedankenspiel: Man stelle sich vor, das Auto sei noch nicht erfunden. Nun käme einer und eröffnete, er habe „eine ganz neue Technik erfunden, welche die persönliche Mobilität durch motorisierte, individuell steuerbare Fahrzeuge auf eine völlig neue Basis stellt“. Allerdings würde diese neue Technik „im Durchschnitt zehn Todesopfer täglich kosten“. Eichendorf kommt zu der Schlussfolgerung, „dass diese neue Technik nie eingeführt würde und der Vorschlag des Erfinders auf Ablehnung, sicher sogar Empörung stoßen würde. Wer könnte es verantworten, eine Technik einzuführen, die zehn Tote an jedem Tag verursacht!“ Nun geht der Präsident des DVR nicht so weit, die Abschaffung des Automobils zu fordern, aber er weist darauf hin, dass das Recht auf Leben und auf körperliche Unversehrtheit an zentraler Stelle im Grundgesetz steht. Von „Freie Fahrt für freie Bürger“, dem Wahlspruch der Autolobby (ursprünglich 1974 vom ADAC geprägt), sei dort jedoch nichts zu lesen.

30 km/h als Regelgeschwindigkeit

Bereits im Verkehrssicherheitsreport 2011 der DEKRA waren folgende Äußerungen des DVR-Präsidenten abgedruckt: „Ein ganz großer Schritt für mehr Sicherheit der schwächeren Verkehrsteilnehmer wäre […], Tempo 30 würde generell in den Städten die Regelgeschwindigkeit. […] Bei vernünftiger Beschilderung der dafür geeigneten Straßen mit 50 oder einer höheren Grenze müsste der Verkehrsfluss nicht leiden.“ Mit dieser Meinung steht er nicht allein. Das Europäische Parlament empfiehlt in seinem Aktionsplan für mehr Sicherheit „nachdrücklich, in Wohnbereichen und auf allen einspurigen Straßen in Stadtgebieten, die keine getrennte Fahrbahn für Radfahrer haben, […] generell eine Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h vorzuschreiben“. Auch der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMVBS) und das Umweltbundesamt (UBA) empfehlen Tempo 30 als Regelgeschwindigkeit innerhalb von Ortschaften, sowohl aus Gründen der Verkehrssicherheit, als auch zur Lärmminderung.

Kampf dem Schilderwald

Die innerörtliche Höchstgeschwindigkeit von derzeit 50 km/h ist in der Straßenverkehrs-Ordnung (StVO) im §3 Absatz 3.1 festgeschrieben. Doch bereits seit den 1980er-Jahren gibt es immer wieder Initiativen zur Erhöhung der Verkehrssicherheit, welche die Reduzierung der Differenzgeschwindigkeiten in einer Stadt forderten. Erste Tempo-30-Zonen wurden in den Neunzigern eingerichtet und haben sich bewehrt. Zusätzlich ordneten immer mehr Kommunen vor Kitas, Schulen und Bushaltestellen Tempo 30 an. Eine sinnvolle Entwicklung, die jedoch dazu führt, dass aufgrund der in der StVO festgelegten 50 km/h mittlerweile über den Schilderwald in Deutschland gespottet wird.

Ein Beispiel aus der Hauptstadt: Die Stadt Berlin verfügt über ein Straßennetz mit einer Gesamtlänge von rund 5.400 Kilometern (ausgenommen Autobahnen). 78 Prozent dieser Straßen sind heute mit Tempo 30 beschildert! Das Straßennetz der freien Hansestadt Hamburg ist rund 4.000 km lang. Hier gilt auf 56 Prozent der Straßen Tempo 30. Würde nun die Beweislast bei Geschwindigkeitsanordnungen umgekehrt, sprich, wären 30 km/h die Grundgeschwindigkeit innerorts und höhere Geschwindigkeiten dürften dort angeordnet werden, wo es die Sicherheit und die Straßenverhältnisse zulassen, würde der Schilderwald in Deutschland um einiges lichter.

Dass 30 km/h innerorts für deutlich sinkende Unfallzahlen sorgen würde, kann niemand bestreiten. Jedoch sind nach wie vor die Befürchtungen größer, der Verkehr in der Stadt würde noch zäher fließen - trotz gegenteiliger Beispiele aus Ländern wie Großbritannien.

Damit endlich ein Umdenken geschieht und unsere Städte an Lebensqualität gewinnen, hat es sich das Netzwerk Tempo 30 zur Aufgabe gemacht, aufzuklären und Überzeugungsarbeit pro 30 km/h als innerörtliche Regelgeschwindigkeit zu leisten.

Lesenswertes

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